Trauma, Spiritualität und ich – erschienen in Praxis Kommunikation 6/2019

von Dr. Susanne Lapp

In der aktuellen Praxis Kommunikation, 6/2019, beschreibe ich meinen persönlichen Weg zur Verbindung mit mir, dem Heilen von Traumata, dem Erwachen meiner Spiritualität und wie ich diese Fähigkeiten heute in meinen Coachings einsetze.

Den kompletten Artikel findest du hier:

Artikel Praxis Kommunikation

Viel Spaß und gute Erkenntnisse beim Lesen!

 

Der übende Mensch und sein Trainer

von Klaus Grochowiak

Dieser Text ist als ein Beitrag zu verstehen, in dem wir uns mit unserer Tätigkeit als Trainer kritisch und in historischer Perspektive auseinandersetzen.

Parallel zu diesem Text empfehle ich den Podcast „Trainer–Identität, den ich auf den einschlägigen Portalen veröffentlicht habe.

Die Sorge des Menschen um sich selbst und um seine persönliche Entwicklung ist spwohl in der abendländischen, als auch in der asiatischen Kultur, dass sich über mehrere Jahrtausende entwickelt hat. Sloterdijk schreibt in seinem Buch „Du musst dein Leben ändern“, dass der Mensch den Mensch erzeugt – und zwar durch ein Leben in Übungen.

Und was tun wir in NLP-Kursen anderes, als Anderen dabei zu helfen, sich in immer neuen Anläufen selbst zu entdecken und sich neu zu entwerfen – und zwar durch Übungen?

In diesen Übungen wird das Implizite (Glaubenssätze, Submodalitäten, Strategien usw.) explizit gemacht. Und: „Je höher der Explikationsgrad, desto tiefer die mögliche, ja unumgängliche Befremdlichkeit des neu erworbenen Wissens.“   Dies gilt sowohl für die Erkenntnisse bezüglich unseres subjektiven Erlebens, als auch für jene, über die uns umgebende materielle Natur – man denke nur an die verstörenden Einsichten der Quantenmechanik.

Dabei ist die anthropologische Bedeutung dieser Beschäftigung als einer neuen Form der Anthropotechnik (Sloterdijk) selten im Blick. Es ist das Ziel dieses Textes, diese Dimension angemessen in den Blick zu nehmen.

Immunologie

Alle Organismen müssen sich irgendwie vor den für ihre Art spezifischen Umweltrisiken schützen. Ihr Immunsystem stellt ein angeborenes „Wissen“ und ein autotherapeutisches System für zu erwartende Verletzungen bereit. Im Gegensatz zu allen anderen Organismen haben wir Menschen aber über unser biologisches Immunsystem hinaus noch ein zweites: die Sprache. Sie ermöglicht uns, noch eine zweite Welt – die Welt der Bedeutungen, der Symbolsysteme – zu errichten.

Jene Symbolsysteme schufen gleich am Anfang der Kulturentwicklung eine Überwelt – die Welt der Ahnen, Geister und Götter. Der übende/ausprobierende Kontakt mit dieser Welt fungierte als ein psychologisches Immunsystem gegen die Angst vor dem Tod, vor der übermächtigen Gewalt der Natur und der Verzweiflung an den Lebensbedingungen.

Die Vorstellung, durch Opfer, Rituale, Beten und ähnliche Aktivitäten sich mit Mächten gut zu stellen, die nur als symbolische Realitäten erfahrbar sind, ermöglichte es den Menschen, ein zweites Immunsystem gegen die Bedrohungen aufzubauen, die der Preis des Selbstbewusstseins sind. Neben diesen psycho-immunologischen Praktiken haben sich auch noch sozio-immunologische Praktiken wie z. B. die juristischen oder militärischen entwickelt, mit denen Menschen in ‚Gesellschaft‘ ihre Konfrontationen mit fremden Aggressoren und benachbarten Beleidigern oder Schädigern abwickeln.

Der Mensch in der Vertikalspannung

Die abendländische Kultur beginnt u. a. mit der sokratischen Definition des Menschen als einem Wesen, das potenziell „sich selbst überlegen“ ist. Je nach Kultur bzw. Subkultur werden andere Leitdifferenzen für dieses „sich selbst überlegen sein“ maßstäblich.

In den asketischen Subkulturen geht es um die Differenz Vollkommen versus Unvollkommen, in den religiösen um Heilig versus Profan, bei den Adligen um Vornehm versus Gemein, bei den militärischen Subkulturen um Tapfer versus Feige.

In der Politik geht es um Mächtig versus Ohnmächtig, bei den Athleten um Spitzenleistung versus Mittelmaß; in den akademischen Subkulturen geht es um Bildung versus Unwissenheit und in den therapeutischen um neurotisch versus durchtherapiert oder – in abgemilderter Form – um bewusst versus unbewusst.

Das bedeutet: Die typischen Teilnehmer von NLP-Kursen oder ähnlichen Veranstaltungen leben in dem Bewusstsein, dass sie aus ihrem Leben mehr machen könnten, als sie es bis jetzt tun. Sie leben in einer speziellen Form von Vertikalspannung, die sich als Bedürfnis nach persönlicher Entwicklung bemerkbar macht.

Der asketische Mensch

Im klassischen Griechischen bedeutet áskesis schlicht „Übung“ bzw. „Training“. Der asketische oder übende Mensch ist also der, der versucht, durch selbstbezügliches üben zur Verbesserung seiner Selbst beizutragen. Das Grundgesetz aller anthropotechnischen Bemühungen besteht in der Einsicht, dass alle Handlungen und Bewegungen auf den Handelnden zurückwirken und ihn dadurch verändern. So wird jedes Üben zu einer Form des Sich-Formens. Dieses „sich selbst formen“

ist immer auch als ein „sich in Form bringen“ zu verstehen. Kurz: Selbstformung durch Übung. Dazu wurden im Laufe der Jahrtausende die verschiedensten spirituellen, mentalen und körperliche Techniken einschließlich verschiedenster Diätologien entwickelt. Sloterdijk spricht in diesem Zusammenhang von „Anthropotechnik“.

Im christlichen, aber auch im hinduistischen und buddhistischen kulturellen Umfeld hat sich eine Art pathogogische Askese entwickelt, die „die kunstgerechte Selbstvergewaltigung einer Elite von Leidenden“ zum Ideal des sich entwickelnden Menschen erklärte. Ein Echo dieser Epoche finden wir heute noch in verschiedenen Kreisen der Neo-Mystik.

Waren es am Anfang der hochkulturellen Epoche der Menschheit immer nur wenige, die sich den verschiedenen Formen der Askese unterzogen haben, so beobachten wir seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Art Massenbewegung in Richtung verschiedenster Formen der Selbstoptimierung. Es handelt sich dabei sowohl um die traditionellen spirituellen Sucher als auch um jene, die sich mit unterschiedlichsten Formen therapeutischer Techniken zu optimieren suchen, wie auch um die Millionen Menschen, die etwas für ihre körperliche Fitness tun und z. B. noch im hohen Alter an Marathon-Rennen teilnehmen.

Allen diesen Aktivisten der Selbstoptimierung ist ganz unabhängig von den traditionellen Formen der Selbstvergewaltigung die triviale Weisheit aller Künstler, Sportler, Handwerker, Therapeuten usw. bewusst, dass ohne jahrelanges Training, ohne stundenlanges Üben Spitzenleistungen nicht zu erreichen sind. Und auch in den Kreisen der Kurzzeit-Therapeuten hat sich herumgesprochen, dass zwar die einzelne Intervention kurz sein kann, aber der Prozess der persönlichen Entwicklung eine „never ending story“ darstellt. Und dieses Üben ist ohne einen Lehrer oder Trainer nicht erfolgreich zu bewerkstelligen.

Wir können in diesem Zusammenhang auch von einer Entspiritualisierung der Askesen sprechen. Die modernen übenden Menschen glauben – von einigen Subkulturen abgesehen – nicht mehr, dass die selbstvergewaltigenden Formen der Askese notwendig sind, um sich einen Fensterplatz im Himmel zu ergattern bzw. durch Abtötung des Körperlichen endlich den ersehnten Ausweg aus dem Rad der ewigen Wiedergeburt zu finden: Sie üben, weil sie spüren, dass sie aus sich selbst und ihrem Leben mehr machen könnten – sie sind eher an einer Ästhetik der Existenz interessiert. Die neue Leitdifferenz, die sich immer deutlicher herauskristallisiert, ist jene zwischen denen, die etwas aus sich machen wollen, und denen, die nichts oder wenig aus sich machen wollen. Sie sind die, die „der Versuchung durch Vollendung ebenso widerstehen wie der Versuchung durch Trägheit.“

Diese Differenz wird den Teilnehmern einer NLP-Ausbildung mit jedem Wochenende immer deutlicher; sie berichten, dass die Begegnungen mit ihren alten Freunden und Bekannten immer weniger befriedigend ausfallen, da sie die alten stereotypen Kommunikationsformen und das wenig lösungsorientierte Lamentieren über die immer gleichen Probleme nicht mehr ertragen können. Dies ist nach meiner Beobachtung nicht das Resultat sektenhafter Abkapslung, sondern einfach eines einer wachsenden Differenz an Bewusstheit, die auf die Dauer nicht durch freundschaftliche Gefühle überbrückbar ist.

Der Trainer / die Trainerin

Der Impuls, mehr aus seinem eigenen Leben und sich selbst zu machen, ist am Anfang sicherlich noch vage. Es ist nicht klar, wie genau man das Projekt angehen könnte. Dies führt dazu, dass viele Menschen aus dieser Gruppe alles Mögliche ausprobieren. Sie wechseln relativ zügig von einem Guru zum anderen, versuchen verschiedenste Ernährungsweisen, beschäftigen sich mit Astrologie, Energieheilung, positivem Denken, NLP, körpertherapeutischen Ansätzen, Yoga und vielen anderen Methoden, um sich selbst besser zu verstehen und autooperativ in das eigene Selbstsein einzugreifen.

Klar ist bei allen diesen Bemühungen, dass man jemanden braucht, der einem dabei mit seiner Expertise helfen kann. „Mein Trainer ist derjenige, der will, dass ich will – er verkörpert die Stimme, die mir sagen darf: „Du musst dein Leben ändern.“

Dieser Trainer ist aber auch der, der implizit oder explizit verspricht, dass die bevorstehenden Übungen und Einsichten den Trainee seinem Ziel näher bringen werden (und damit die Hoffnung des Trainees bestätigt).

Damit wiederholt sich eine alte Figur aus der Meister-Schüler-Beziehung auf niedriger Oktave. Das Versprechen ist nur in dem Maße glaubhaft, in dem der Trainer als lebendes Beispiel dieses Versprechens wahrgenommen werden kann.

Im NLP sprechen wir in diesem Sinn von „walk your talk“.

Schaut man sich das Leben – namentlich das private – vieler Trainer und Gurus aus der Nähe an, dann beschleicht den Beobachter doch der Verdacht, dass die jeweilige Methode vielleicht doch nicht ganz so mächtig und erfolgversprechend ist, wie sie oft dargestellt wird. Damit wird die Kongruenz des Trainers von einer unhintergehbaren Ambivalenz infiziert.

Ja, vieles ist möglich – aber das Leben stellt jeden von uns immer wieder neu vor Probleme, die uns an die Grenzen unserer Möglichkeiten bringen. Die Herausforderungen hören nicht auf, und die Hoffnung auf ein Leben in einer Art Dauer-Core-State muss als kindliche Illusion aufgegeben werden.

Der Trainer kann – oder zumindest sollte er – sich nicht in die Traditionslinie der angeblich Vollendeten stellen, die die Teilnehmer bestaunen und bewundern können in der Hoffnung, dass ihn zu modellieren, ihm nachzueifern vielleicht auch sie irgendwann der Vollendung näherbringt.

Keiner der heutigen Trainer kann oder wollte sich in die Traditionslinie eines Jesus stellen, der von sich sagte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

Es war schon immer das Leistungsversprechen von Scharlatanen, dass sie im Besitz des einen Mittels oder der einen Methode sind, dass/die für alle Probleme, die Menschen überhaupt haben können, eine einfache Lösung ermöglicht. Wyatt Woodsmall spricht in diesem Zusammenhang gern vom Maglomania-Pattern. Niemandem soll hier das Recht auf freie Illusionsausübung versagt werden; es soll nur die Frage aufgeworfen werden, wie man sich als NLP-Trainer im Markt und wie man sich zu den Aposteln von Heilsversprechungen positioniert.

Der Trainer und seine Trainees

Seit zweieinhalb Jahrtausenden machen Lehrer die Erfahrung, dass es selbst bei hoher Begeisterung der Schüler für das Projekt der Überwindung des „alten Adams“ alles andere als leicht ist, die bereits verkörperten Eigenschaften (Affekte und Gewohnheiten) und die dazugehörigen bewussten und unbewussten Überzeugungen tatsächlich nachhaltig zu verändern. 

Wir können auch sagen, dass die so Übenden sich freiwillig in eine Art dritte Sozialisationsphase begeben, in der es darum geht, sich aus den familiären und kulturellen Konditionierungen zu befreien. Dadurch wird die Figur des „inneren Beobachters“ aktiviert, der verhindert, dass das übende Subjekt sich in der Bewusstlosigkeit seiner täglichen Routinen verliert. Jede Begegnung, jeder innere Dialog, jeder erlebte Affekt kann und soll am Maßstab neuer Einsichten (Meta-Modell der Sprache, Position I, II, III, Submodalitäten usw.) auf seine potenziellen Limitierungen und sein Optimierungspotential hin wahrgenommen werden.

Der so aktivierte und sich selbst aktivierende Mensch wird zum eigenständig Denkenden, Fühlenden und Vorstellenden im Gegensatz zum Menschen, der nur denkt, was andere auch denken, der von seinen Gefühlen überwältigt wird und sich den unkontrollierten Assoziationen ausgeliefert fühlt. Im NLP stellen wir hier die Frage: „Who drives the bus?“

Die Entdeckung des unauslotbaren Kontinents des subjektiven Erlebens und die Spaltung in die äußere Welt der Tatsachen und die innere Welt der subjektiven Bedeutungen und ihrer erlebnismäßigen Folgen setzt einen „ungeheuren Überschuss an Selbstbezüglichkeit“ frei. „Ist die äußere Welt erst einmal von mir abgetrennt und ferngerückt, bleibe ich alleine übrig und entdecke mich selbst als unendliche Aufgabe.“

Diese Aufgabe bedeutet als Erstes, dass sich das übende Subjekt verdoppelt. Zu all seinen inneren Vollzügen tritt jetzt ein innerer Beobachter, der je nach Schule andere Kriterien anwendet, um das subjektive Erleben zu beobachten und zu bewerten. Dieser innere Beobachter wird dann durch einen zweiten Beobachter – den Trainer – ergänzt. Beide Beobachter ergeben mit den automatisierten Abläufen des subjektiven Erlebens zusammen die Triade des übenden Menschen. In den meditativen Traditionen ist der innere Zeuge eher gehalten, eine kontemplative Position bezüglich der aufsteigenden Eindrücke einzunehmen und jede Identifikation damit zu vermeiden. Im NLP und ähnlichen Techniken geht es eher darum, die Struktur und Prozessualität dieses Stroms des Bewusstseins nach eigenen Kriterien neu zu programmieren. 

In den sogenannten spirituellen Traditionen ist es ebenfalls üblich, zwischen dem Ego – einem kleinen und zu überwindenden Ich – und dem höheren Selbst oder einer Form des Groß-Ich zu unterscheiden. Dabei ist das erklärte Übungsziel, dass das Klein-Ich früher oder später durch die jeweiligen Übungen untergehen soll und wird. Diejenigen, die diese Stufe angeblich schon erreicht haben, sind dann die Erleuchteten bzw. Vollkommenen, denen es nachzueifern gilt. Dieses Nacheifern ist nur durch totale Hingabe an den jeweiligen Meister zu erreichen.

In den abgekühlten und abgeklärten Formen der autooperativen Arbeit am Selbst ist die Unterscheidung zwischen Zeugenbewusstsein und den automatisierten Abläufen des impliziten Bewusstseins-Modus erhalten geblieben, aber die Vorstellung, dass etwas „absterben“ muss oder soll, wird aufgegeben. Dementsprechend sind die Trainer hier weder Erleuchtete noch Vollendete, sie verfügen lediglich über ein spezielles Fachwissen und eine durch Übung erworbene Kompetenz, Prozesse des impliziten Funktionsmodus explizit zu machen und operativ einzugreifen. Die neu designten Prozesse laufen dann wieder im impliziten Funktionsmodus ab.

Diese Nüchternheit vermeidet übrigens eine spezielle Art der Bigotterie, wie sie in den Kulturen der Heiligen üblich ist. Der Heilige ist der, der nicht wissen darf, wie es um ihn steht, da dieses Wissen sofort als eine Form der Eitelkeit des kleinen Egos diffamiert werden würde. Anders der Mensch, der erfolgreich ein altes Programm, z. B. seine neurotische Eifersucht, verändert hat: Er darf

sich über den Erfolg seiner autoplastischen Operation freuen und muss sie nicht in falscher Demut unerwähnt lassen.

Anders als in den spirituellen Askesen ist allerdings das Ziel der Arbeit an sich selbst nicht so klar wie in den spirituellen Traditionen. Wenn es nicht mehr um Erleuchtung oder Vollendung geht, dann können letztlich nur konkrete Ziele wie beispielsweise die Entmachtung limitierender Glaubenssätze oder aber das vage Ziel „persönliche Entwicklung“ angegeben werden. Die spezifischen Inhalte dieses

Entwicklungsprozesses ergeben sich dann individuell aus dem Zusammenspiel von Lebensherausforderungen, den neu entstandenen Erlebnisweisen als Resultat des situativen Standes der Arbeit an sich selbst und den jeweils als erstrebenswert in Aussicht gestellten Idealen der Methode, mit der man sich gerade beschäftigt.

Der so an sich arbeitende Mensch lebt also in einer entspiritualisierten, teleologischen Zeitstruktur. Sein Leben ist nicht nur ein Sein-zum-Tod (Heidegger), sondern immer auch noch ein Sein-zum-X. Was das jeweilige X konkret ist, ändert an der latent teleologischen Struktur seines In-der-Welt-seins nichts. Nicht nur das Sein-zur-Vollendung, auch das Sein-zum-X wird zum machtvollsten „Biografiegenerator“.

Menschen dieses Typs sind immer auf irgendeinem Weg. Ob dieser ein explizites Ziel hat oder selbst das Ziel ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Die Begleiter (Trainer, Gurus usw.) auf dieser Wanderung durch das Leben sind natürlich selbst auch auf dem Weg, wenn sie nicht zu den angeblich schon „Angekommenen“ gehören. Diejenigen, die so auf dem Weg sind, sind die durch ihre eigene Vertikalspannung Bewegten.

Die so Bewegten wollen seit alters her nichts mehr wissen von uneinholbaren und unnachahmlichen Vorzügen eines Anderen, sie versammeln sich nur allzu gern unter der Parole der beliebigen Modellierbarkeit von selbst den unwahrscheinlichsten Spitzenleistungen. Anders sind die Versprechungen der Heiligen und der Asketen aller Zeiten nicht zu verstehen: nämlich, dass ihr System jeden, der sich redlich bemüht, zu den höchsten Gipfeln der menschlichen Unwahrscheinlichkeiten führen könne. So gesehen ist die „Vorannahme“ des frühen NLP, dass „jeder alles lernen kann“, nur eine Wiederholung frühester Überspanntheit und Paradoxien des übenden Menschen und seines Trainers.

Mit der Entzauberung der Vollkommenheits-Propaganda muss auch die Erreichbarkeits-Propaganda auf ein realistisches Maß  zurückgestuft werden, auch wenn das aus marketing-technischen Gründen für einige eine bittere Pille sein mag: Das Ressentiment gegen „Begabung“ war schon immer ein Wegbegleiter der Alles-Versprecher.

Das realistische Versprechen

Menschen haben immer mehr Potentiale und Begabungen, als sie tatsächlich ausschöpfen können. Die Dialektik von Selbstentdeckung und Selbstentwurf – und die damit verbundene übende Praxis – bietet für jeden, der sich auf diesen Weg macht, mehr als genug Überraschungen, Lernerfahrungen und Wachstums-Chancen.

Dieses Üben am Erreichbaren ermöglicht es Menschen, eine neue Horizont-Kompetenz zu entwickeln.

Ein Horizont ist die jeweilige Grenze dessen, was wir von der Welt sehen können – relativ zu dem Standpunkt, von dem aus wir schauen. Mit Horizont-Kompetenz meine ich die kognitiv-emotionale Haltung, relativ zu den Grenzen des eigenen Modells der Welt. Das tiefe Vertrauen darin, dass es hinter dem Horizont weitergeht und dort weder der Abgrund noch das Grauen lauert, ermöglicht es

Menschen, vor dieser Grenze keine Angst zu haben, sondern ihr mit freudiger Erwartung entgegenzustreben – dies in dem Wissen, dass es keinen endgültigen, letzten Horizont geben kann, den es final – im Sinn einer absoluten „Erleuchtung“ –  zu überschreiten gälte.

Dieses „wegen des Wegs“ in die eigene Zukunft erzeugt erst den Weg – und zwar sowohl für die Menschheit als Ganzes wie auch für jeden Einzelnen. Und so, wie die verschiedenen Kulturen auf diesem Planeten unterschiedliche Wege gegangen sind, geht auch jedes Individuum seinen Weg.

Um bei dieser Wanderung Spaß haben zu können und motiviert zu sein, braucht man weder die Illusion der Vollkommenheit als ewiges Manko noch die Hybris, man könne den Weg Mozarts, da Vincis oder anderer Genies nachgehen, nur weil man ja ebenfalls ein Mensch sei.

Es gibt mehr als genug zu tun und zu erleben, zu wachsen und zu entdecken mit den Möglichkeiten, Potentialen und Begabungen, die einem jeden von uns mitgegeben sind. Viel Spaß dabei!

Das Selbst

Das Selbst

Ein wichtiges Motiv der Teilnehmer von NLP-Kursen ist die Selbsterkenntnis. Dies ist eine der Forderungen des antiken Denkens, die Griechen nannten das Gnothi seauton.

Uns Heutigen ist neben der Philosophie, Soziologie und Psychologie auch noch die Gehirnforschung gegeben, die uns über die neurophysiologischen Grundlagen der verschiedenen Erscheinungsweisen des Selbst-Bewusstseins aufklärt.

Von ihr erfahren wir, ähnlich wie von verschiedenen philosophischen Schulen, dass es keinen Sinn macht von dem Selbst wie von einem Ding zu sprechen. Dies ist der Kern der Selbstillusion. Selbstheit ist eher als ein selbstreflexiver Prozess in komplex organisierten Organismen zu verstehen. Wir wissen, dass unsere unmittelbare Selbstvertrautheit durch vorbewusste Gehirnprozesse erzeugt wird. Und diese lassen sich relativ leicht täuschen.

Trotz der rasanten Fortschritte in der Gehirnforschung sind wir noch weit davon entfernt zu verstehen wie und ob überhaupt unser Gehirn der Ort ist an dem wir die Quelle von Bewusstsein finden werden. Es stehen sich, grob gesagt, zwei Fraktionen gegenüber. Die eine behauptet: Du bist dein Gehirn! Und die andere verteidigt die Position: Bewusstsein ist die grundlegendste Realität und die Welt ist in diesem Sinne eine Illusion. Und beide Positionen haben starke Argumente.

Die zweite große Forderung, die wir mit den antiken Griechen teilen lautet: Sorge dich um dich selbst! (epiméleia heautoú)

Und auch dies ist eines der Hauptmotive, warum Menschen NLP-Kurse oder ähnliche Veranstaltungen besuchen.

Die Selbstsorge zusammen mit der Selbsterkenntnis, also der Prozess der Selbstentdeckung ist der Chiasmus von Selbstentwurf und Selbstentdeckung.

D.h. wir können unser Selbst nicht wie einen bisher unbekannten Kontinent entdecken, der da ist, unabhängig ob wir ihn entdecken oder nicht. Selbstentdeckung geschieht immer nur dadurch, dass wir uns immer schon irgendwie entwerfen. Wir haben Ziele (die natürlich nicht unbedingt unsere eigenen sein müssen), die wir zu erreichen suchen und uns dabei erfolgreich oder scheiternd erleben.

Dabei entdecken wir limitierende Glaubenssätze, Skriptanforderungen, Konditionierungen, die das Resultat von Traumatisierungen, Konditionierungen und Erwartungen anderer an uns sind.

Diese Entdeckungen führen bei den meisten Menschen dazu, dass sie auf dem Hintergrund des Wertes Selbstbestimmung die Frage nach der Selbstrealisation als drängend erleben.

Dabei kann Selbstrealisation nicht bedeuten so etwas wie das eigentliche Selbst zu entdecken (Selbstillusion). Vielmehr geht es um die Frage wie kann ich mich von den limitierenden Glaubenssätzen und Konditionierungen befreien, um einen möglichst unverstellten Zugang zu meinen eigenen Ressourcen und Bedürfnissen zu bekommen.

Und mit Selbstbestimmung kann keine vollkommene Autonomie, frei von allen äußeren Bedingungen und genetischen Bedingtheiten gemeint sein, sondern die Fähigkeit die Anforderungen vor dem Hintergrund unserer eigenen Bedürfnisse und Ziele zu bewerten.

Dieser Prozess von Selbstentwurf und Selbstentdeckung wird oft als Selbsttransformation erlebt. D.h. wir transformieren uns selbst in unserer inneren bewussten und unbewussten Prozessualität, so dass wir im Selbsterleben und Handeln mehr Selbstliebe und Selbstwert erleben können. 

Wir entwickeln ein Selbstverständnis, das es uns erlaubt uns einerseits als in einem ständigen Entwicklungsprozess zu erleben, ohne uns deshalb als unfertig, unvollkommen usw. zu erleben. D.h. wir sind nicht erst dann O.K., wenn wir ein bestimmtes Entwicklungsziel erreicht haben.

Dieses Selbstverständnis ermöglicht Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.

Ich möchte darauf hingewiesen, dass das Bedürfnis und die Anforderung nach Selbstaktualisierung leicht zu einem erschöpften Selbst führen können, einer andauernden Selbstüberforderung.

Dies hängt unter anderem mit einer Selbstüberschätzung zusammen. If you can dream it, you can do it. Gerade im Umkreis von NLP und anderen Selbstentwicklungspraktiken besteht immer die Gefahr Illusionen über das Machbare im Prozess der Selbsttransformation zu verbreiten. D.h. die Verleugnung sowohl der begrenzten psychischen Ressourcen, der genetischen Bedingtheiten als auch der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bürdet dem Einzelnen eine Verantwortung für den Verlauf und Erfolg seiner Bemühungen auf, die ihn letztlich nur als Versager zurück lassen wird.

Und nach soviel Beschäftigung mit dem Selbst soll letztlich nicht vergessen werden, dass wir uns am Besten in Momenten der Selbstvergessenheit fühlen. Im Flow bei der Arbeit, in schöpferischen Momenten, in der Liebe oder der Meditation. Zuviel Beschäftigung mit uns Selbst tut uns selbst nicht gut.

Die Selbst-Illusion

Sowohl in der Philosophie, als auch in verschiedenen, namentlich asiatischen, spirituellen Traditionen (Advaita Vedanta), geht man davon aus, dass es sich bei der Nominalisierung „das Selbst“ um eine Illusion handelt. 

Wie wir wissen führen Nominalisierungen dazu, dass wir einen Prozess wie ein Ding behandeln. Und in der Tat spricht Descartes davon, dass die Welt aus zwei Substanzen besteht, res extensa (Materie) und res cogitans, die denkende Sache, der Geist. Diese Art von Dualismus wird zwar von der ganz überwiegenden Mehrheit aller religiösen Menschen geteilt, gilt aber in den Neurowissenschaften als eine unhaltbare Vorannahme.

Als NLP’ler wäre die Frage wie können wir das Selbst als Prozess verstehen? Hier sollen erst einmal die wesentlichen Einsichten und Überlegungen vorgestellt werden, die dazu führen „das Selbst“ in seinem illusionären Charakter darzustellen.

Das Hauptargument dieser beiden Traditionen besteht im Wesentlichen darin, dass wir bei der Introspektion zwar Gedanken, Bilder, Gefühle usw. haben, dass uns aber nirgendwo so etwas wie das Selbst begegnet.

D.h. es gibt zwar so etwas wie Wahrnehmung, aber keinen der wahrnimmt. Es wird auch nicht geleugnet, dass es so etwas wie Meinigkeit gibt, also unsere Fähigkeit zwischen Innen und Außen zu unterscheiden, aber die Vorstellung, dass es darüber hinaus auch noch ein Selbst gibt, dass diese Meinigkeit produziert wird als eine Illusion bezeichnet. Dabei wird behauptet, dass diese Illusion ein Erleben erzeugt, nämlich des Selbst, dass es aber, wie bei jeder Illusion, dass was da erlebt wird so gar nicht gibt. Ein gutes Beispiel sind die verschiedenen optischen Illusionen. Sie sind das Ergebnis der Interpretation der Sinnesdaten durch unser Gehirn. Und mehr noch sie verschwinden nicht dadurch, dass wir wissen, dass es sich um eine optische Täuschung handelt.

Diese Illusion wird unter anderem dadurch erzeugt, dass wir das Gefühl haben unseren Körper wie ein Fahrzeug zu bewohnen. So wie wir unser Auto durch die Gegend fahren. Wir haben ein Gefühl der Identität durch die Zeit egal wie sehr sich unser Körper verändert.

Wenn man Menschen fragt wo sich ihr Ich oder ihr selbst befindet, dann antworten die meisten, dass es sich hinter den Augen im Kopf befindet. Und dies erleben wir auch, wenn wir meditieren. Gleichzeitig ist klar, dass es keinen Sinn macht dort eine Art Homunkulus anzunehmen, einen kleinen Mann im Gehirn, oder den berühmten Geist in der Maschine. Denn gebe es ihn, könnten wir die Frage, wo sich sein Selbst befindet wiederholen und würden so in einen unendlichen Regress landen.

Schon bei Aristoteles (384-322) finden wir erste Überlegungen zu diesem Thema in seinem Buch Von der Seele (De Anmia):

„Da wir wahrnehmen, dass wir sehen und hören, müssen wir entweder mit dem Gesichtssinn wahrnehmen, dass er sieht, oder mit einem anderen. Aber (dann) wird derselbe Sinn sich auf das Sehen und auf die gegenständliche Farbe richten oder der eine auf sich selbst. Ferner, wenn auch die Wahrnehmung vom Sehen eine andere wäre, so würde dies entweder ins Unendliche gehen, oder eine würde sich auf sich selbst richten. Daher kann man dies (sogleich) bei der ersten (Wahrnehmung) ansetzen. Es gibt hier aber eine Aporie: Wenn nämlich Sehen das Wahrnehmen mit dem Gesichtssinn ist, gesehen aber wird die Farbe oder das, was sie hat, so würde, wenn man das Sehende sähe, das erste Sehende Farbe haben.“ Buch III, Kap. II, 45 2b:2

Kant spricht in diesem Zusammenhang von dem inneren Sinn:

„Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst oder seinen inneren Zustand anschaut, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so dass alles , was zu den inneren Bestimmungen gehört, in den Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird.“ (KrV tr. Ästhetik § 2 (178-Rc 95)

Spezielle Probleme der inneren Wahrnehmung:

  • • „Innere Wahrnehmung“ ist nur eine Metapher.
  • • Was ist das Organ der Wahrnehmung? Es gibt im Moment keinerlei Hinweis, dass es so etwas wie ein Organ der inneren Wahrnehmung gibt.
  • • Gibt es eine spezifische Modalität des Bewusstseins? (Datenformat)
  • • Wahrnehmung erfasst prinzipiell nur konkrete Objekteigenschaften.
  • • Es ist aber der intentionale Gehalt des Zustands erster Stufe, der bewusst gemacht werden soll.

Gleichzeitig ist unser Gehirn in der Lage die Vielzahl unserer simultanen Erfahrungen zu einem in sich geschlossenen Erfahrungsraum zu synthetisieren und uns dabei den Eindruck zu vermitteln, dass es so etwas wie das Zentrum dieser Erfahrungen gibt. 

Auch die heutige Gehirnforschung bzw. die Gehirnforscher die sich  den neurologischen Grundlagen des Selbst-Gefühls beschäftigen sind sich einig, dass es keinen Sinn macht von dem Selbst zu sprechen.

Um genauer zu verstehen, wie die Erlebnisse zu interpretieren sind, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass unser Gehirn in jeder Hemisphäre eine eigene Form des Selbstempfindens erzeugt. Diese Einsicht verdanken wir den Versuchen mit Split-Brain Patienten, bei denen die beiden Gehirnhälften operativ getrennt wurden, dadurch, dass das Corpus callosum durchtrennt wurde. Das Selbst in der linken Gehirnhälfte, in der auch unsere Sprachzentren lokalisiert sind, ist unser linguistisches Selbst. Dies ist das Selbst, das wir in unseren alltäglichen Verrichtungen erleben und aus dem heraus wir unsere sozialen Kommunikationen heraus organisieren.

Die beiden linguistischen Zentren sind das Broca-Areal und das Wernicke-Areal. Das erste dient der Spracherzeugung und das zweite dem Sprachverstehen.

Das Selbst der rechten Hemisphäre kann als unser emotionales Selbst verstanden werden. Zwischen beiden gibt es viele neuronalen Verbindungen. Wenn uns z. B. jemand lobt, dann verstehen wir nicht nur die Worte, wir fühlen uns auch besser und umgekehrt.

Michael Gazzaniga hat sich über Jahrzehnte mit der experimentellen Untersuchung von Split Brain Patienten beschäftigt und hat auf der Basis dieser Arbeit die Idee des ‚Interpreter’ entwickelt. Das ist der Teil von uns, der eine einheitliche Interpretation unserer Welt und Selbsterfahrung hervorbringt.

Er kam zu dieser Idee, dadurch, dass er die Split Brain Patienten fragte, wie sie sich erklärten, dass sie offensichtlich etwas wussten, (ihre isolierte rechte Hemisphäre hatte etwas erkannt, konnte es aber nicht an die linke, bewusste Gehirnhälfte weiterleiten), was ihnen nicht bewusst war. Alle Befragten erzeugten sofort eine scheinbar rationale Erklärung.

So wurde z.B. einem Patienten das Wort ‚ROT’ über das rechte Sehfeld in die linke Hemisphäre eingespielt. Er wusste also, dass er das Wort rot gelesen hatte. In das linke Sehfeld, also in die rechte Hemisphäre wurde das Bild einer Banane eingespielt. Er wurde dann aufgefordert: „Malen Sie was Sie sehen.“ Er mahlte eine Banane mit einem roten Filzstift. Dies ist erst einmal überraschend, da Bananen gelb sind. Auf die Frage, warum er eine rote Banane gemahlt hat, antwortet er: „Ich weiß nicht … , mit der linken Hand ist eine Banane am einfachsten zu malen.“

Ein weiteres Experiment ist in unserem Zusammenhang von Interesse. Man zeigte den Patienten 40 Bilder, die hintereinander eine kleine Geschichte erzählen; z.B. die Aktivitäten eines Mannes kurz nach dem Aufstehen. Dann zeigte man ihnen eine neue Reihe von Bildern in denen sowohl die alten Bilder vorkamen, als auch solche, die nicht gezeigt wurden, aber zu der Story passten und solche, die keinen Zusammenhang mit der Geschichte hatten. Die linke Hemisphäre hat natürlich die Story erkannt und erkannte alle Bilder als falsch, die nichts mit der Story zu tun hatten, tendierte aber dazu Bilder, die, diesie nicht gesehen hatten, die aber zu der Story passten als ‚gesehen’ zu interpretieren.

Ganz anders die rechte Hemisphäre. Sie interpretiert nicht, sie entwirft keine Story und ist daher viel besser in der Lage die falschen, aber ‚passenden’ Bilder als nicht gesehen zu erkennen.

Bei einem anderen Experiment wurde den Patienten ein beängstigender Film in die rechte Hemisphäre eingespielt; die linke sah nur eine weiße Fläche. Auf die Frage, was sie gesehen haben, antworteten sie: „Eine weiße Fläche.“ Allerdings fühlten sie sich irgendwie ängstlich. Und sie versuchten dieses Gefühl mit dem Raum, dem Versuchsleiter usw. zu erklären.

D.H. der Interpreter in der linken Hemisphäre versuchte sofort eine einigermaßen plausible Erklärung für die Situation zu erzeugen.

Gazzaniga zieht aus seinen Experimenten folgende Schlussfolgerungen:

  • • Der Interpreter ist nur so gut wie die Daten, die er bekommt.
  • • Unsere Realität ist virtuell.
  • • Läsionen verschiedener Gehirnareale verhindern, dass der Interpreter die geeigneten Informationen erhält und so z.B. nicht in der Lage ist seine eigene Hand zu erkennen.
  • • Die erlebte Einheit unserer Erfahrung ist das Produkt einer speziellen Region in der linken Hemisphäre, dem Interpreter.
  • • Der Interpreter ist eine Spezialisierung in der linken Hemisphäre, die mit unserer Sprachfähigkeit zu tun hat, und nur wir Menschen haben diese Fähigkeit. Es ist der Trigger für unsere Überzeugungen – beliefs.
  • • Wir bilden unser Weltmodell, nachdem unbewusste Prozesse in unserem Gehirn die Daten aufbereitet haben.
  • • Der Interpreter erzeugt die Bedeutung relativ zu den Daten, die er bekommt und relativ zu dem Situationsverständnis, welches er schon hat.

Weitere interessante Forschungsergebnisse 

Wir wissen heute, dass unsere Fähigkeit uns selbst im Spiegel zu erkennen erst zwischen dem 18 und 24 Monat auftaucht. Und wir wissen, dass die meisten Tiere dazu überhaupt nicht in der Lage sind. D.h. sich seiner selbst bewusst sein, setzt einen bestimmten Entwicklungsgrad unseres Gehirns voraus.

Gordon G. Gallup, Jr., ein Psychologe an der University at Albany, entwickelte den Spiegel-Test zuerst für Tiere. Er wollte wissen ob und wenn ja, welche Tiere sich im Spiegel selbst erkennen können. Wir wissen heute, dass außer uns Menschen auch Schimpansen und Orang Utans bestimmte Delphine und die Elster den Test bestehen.

Er stellt fest, dass es diese Form des Selbstbewusstseins ist, die es uns ermöglicht ein Bewusstsein von unserem eigenen Tod in der Zukunft zu haben. Und vielleicht ist es gerade diese beunruhigende Gewissheit, die uns dazu veranlasst hat, quasi als Kompensation, die Idee eines unsterblichen Selbst zu entwickeln.

Wir haben weiter oben erwähnt, dass wir normalerweise unser Ich hinter unseren Augen lokalisieren. Wenn man aber eine Brille auf hat, die in jedes Auge ein Bild zeigt, dass von zwei Kameras hinter uns aufgenommen werden, dann haben wir den Eindruck, dass unser Ich hinter uns ist. Wir haben sozusagen ein virtuelles Out of Body Erlebnis. Wenn wir die Brille wieder abnehmen haben wir das Gefühl als ob – unser Selbst – in den Körper vor uns hineingezogen worden ist.

Diese Experimente kann man aber noch einen Schritt weiter treiben. Jetzt sind die beiden Kameras auf dem Kopf des Versuchsleiters. D.h. die Versuchsperson sieht sich selbst aus der Perspektive des Anderen. Wenn dieser uns jetzt die Hand reicht und wir sie schütteln, wie bei einer normalen Begrüßung, dann erscheint sein Arm als der eigene. Wenn jetzt jemand mit einem Messer über die Hand des Versuchsleiters streicht, dann bekommt man sofort Angst geschnitten zu werden.

D.h. unser Interpreter versucht aus den Daten Sinn zu machen. Und wenn wir uns von hinten sehen, dann macht es Sinn davon auszugehen, dass wir dort sind und wenn wir uns aus der Perspektive eines anderen sehen, dann macht es Sinn davon auszugehen, dass unser Selbst in einem anderen Körper ist.

Wir wissen heute, dass unser Unbewusstes oder besser Teile unseres Gehirns, dessen Aktivität uns nicht bewusst ist, bis zu sechs Sekunden bevor uns bewusst wird welche Entscheidung wir treffen wollen, bereits entschieden hat, wie wir uns entscheiden werden.

Das dazugehörige Experiment ist sehr einfach. Ein Proband wird in einen Scanner gelegt und er hat die freie Wahl, wann er den linken oder den rechten Knopf drücken möchte. Die Wissenschaftler, die währenddessen das Gehirn beobachten können an einer bestimmten Gehirnregion bereits sechs Sekunden vorher sehen, wie wir uns entscheiden werden.

In diesem Sinne ist das bewusste Ich-Erlebnis – ich entscheide wann ich welchen Knopf drücke – ein Epiphänomen darunter liegender Gehirnaktivität.

Zusammenfassend können wir sagen, dass uns die Gehirnforschung dazu drängt die Vorstellung von einem Selbst, dass wie eine eigene Substanz unser eigentliches Wesen ausmacht und den Tod überdauert nur noch schwer aufrecht zu erhalten ist.

D.h. das Selbst wird heute als Prozess verstanden, als ein Selbstmodell, das sich das Gehirn in seinem Entwicklungsprozess, d.h. sowohl evolutionär, als auch individuell, schafft.

Selbstbewertung

Um zu wissen, was für eine Person wir sind, bzw. wie gut oder schlecht wir bezüglich einer Tätigkeit sind nutzen wir Vergleiche. Die Vergleichsmaßstäbe können rational oder irrational sein, aber da wir sie selbst ausgesucht haben erscheinen sie uns rational. Für den Fall, dass diese Maßstäbe uns von außen aufgezwungen wurden, können wir uns entweder mit diesen Autoritäten nachträglich identifizieren oder dagegen rebellieren, aber damit verliert der Maßstab nicht automatisch seine Gültigkeit für uns.

Einer der ersten Sozialpsychologen, der diese Art von Vergleichen empirisch untersucht hat, war Leon Festinger.

Diese Maßstäbe haben Einfluss auf unser Lernverhalten und den Grad unser Selbstakzeptanz. Dies gilt für jeden Trainer sowie für seine Schüler. Es ist daher wichtig, dass der Trainer ein gutes Beispiel für sinnvolle Formen der Selbstbewertung darstellt und seine Schüler dabei unterstützt selbst sinnvolle Maßstäbe für sich selbst zu entwickeln.

Selbstbewertung führt fast immer zu einer Art Ranking: „Ich bin besser/schlechter als X.“ Da man fast immer jemanden finden kann, der bezüglich der in Frage stehenden Eigenschaft/Fähigkeit besser ist, führt diese Art von Vergleich sehr leicht zu Selbstabwertung. Sucht man sich aber einen objektiven Standard den man erreichen kann, dann besteht die große Chance, dass man mit sich selbst zufrieden ist, wenn man diesen erreicht hat.

Jeder Vergleich hat sowohl kognitive als auch emotionale Konsequenzen. Wenn man sich z.B. mit jemandem vergleicht, der besser Tennis spielt als man selbst, dann ermöglicht dies Einsichten darin, was der andere besser macht, um besser zu sein. Wir können davon lernen und versuchen ihn zu modellieren. Wie wir uns dabei fühlen hängt von vielen Variablen ab.

Vergleichen wir uns mit jemandem, der schlechter ist als wir selbst können wir davon wenig lernen, fühlen uns aber vielleicht gut dabei.

Abraham Tesser, ein amerikanischer Psychologe entwickelte sein self-evaluation maintenance model um die Motive für self-enhancement zu erforschen. Dabei interessierten ihn Fragen wie:

  • Wie geht es dir, wenn ein Freund bei etwas, was dir selbst wichtig ist, besser ist als du?
  • Wie geht es dir, wenn ein Freund bei etwas, was dir selbst nicht wichtig ist, besser ist als du?
  • Wie geht es dir, wenn ein Fremder bei etwas, was dir selbst wichtig ist, besser ist als du?
  • Wie geht es dir, wenn ein Fremder bei etwas, was dir selbst nicht wichtig ist, besser ist als du?

Diese Fragen stellen sich im Rahmen von Lerngruppen, wie z.B. eine NLP-Ausbildung, bewusst oder unbewusst fast automatisch.

Seine Beobachtungen zeigten, dass es für uns umso schwieriger ist uns für einen anderen zu freuen, wenn er etwas besser macht als wir, wenn wir zu dieser Person eine enge persönliche Bindung haben und diese Tätigkeit für uns selbst sehr wichtig ist.

Er fragte sich auch wie das Verhältnis von Self-Enhancers vs. Self-Verficaters ist. Self-Enhancers sind Menschen, denen es wichtig ist, dass sie positives Feedback bekommen, selbst wenn es nicht wahr ist. Self-Verficaters sind Menschen, die es vorziehen, dass sie Feedback bekommen, welches ihr schon vorhandenes Selbstbild bestätigt.

Diese Forschungen wurden von B. Swann u.a. weitergeführt. Sie baten ihre Probanden:

  • Fünf Qualitäten aufzulisten und diesen einen Wert zuzuordnen, der angeben sollte, wie hoch diese Qualität bei ihnen ausgeprägt ist.
  • Sie sollten auch angeben, wie sehr sie es genießen würden Feedback bezüglich der Qualität zu bekommen, die sie selbst am höchsten bzw. am geringsten bewertet haben.

Es war wenig überraschend, dass die Teilnehmer lieber Feedback über ihre positivsten Eigenschaften bekamen. Wenn man sie aber Feedback zu beiden Extremen bekommen würden, wie gerne würden sie dann angenehmes bzw. unangenehmes Feedback zu den beiden Extremen hören. Doppelt so viele der Probanden wollten lieber angenehmes Feedback über ihre positiven Eigenschaften hören. Allerdings wollten die meisten lieber unangenehmes Feedback über ihre schlechteste Eigenschaft hören.

Sie argumentierten wie folgt: „Ich weiß ich bin nicht gut in X. Wenn ich kritisches Feedback diesbezüglich bekomme, dann hilft mir das mehr mich zu verbessern, als wenn ich dafür auch noch gelobt werde.“ D.h. ein positives Feedback wäre unglaubwürdig und würde dem Bedürfnis nach self-verification widersprechen. Dementsprechend erfüllt das positive Feedback bezüglich der Eigenschaften, die die Person selbst als besonders gut einschätzt, sowohl ihr Bedürfnis nach self-enhancement als auch ihr Bedürfnis nach self-verification.

In einer späteren Studie hat man die Probanden nach einem einschlägigen Test in zwei Gruppen eingeteilt, diejenigen mit hohem bzw. niedrigem Selbstbewusstsein, bzw. Selbstwert (selfesteam). Den Teilnehmern wurde dann von den Psychologen sowohl positives als auch negatives Feedback gegeben. Dann wurden die Teilnehmer gefragt für wie zutreffend sie die beiden Sorten von Feedback hielten.

Die Gruppe mit hohem Selbstbewusstsein bewertete das positive Feedback als dreimal so akkurat wir das negative. Die Gruppe mit geringem Selbstbewusstsein bewertete das positive Feedback als weniger akkurat wie das negative.

 

Danach wurden die Versuchsteilnehmer gefragt wie gut sie sich fühlten, nachdem sie das Feedback bekommen haben.

Die Gruppe mit hohem Selbstwert fühlte sich sehr gut. Hingegen fühlte sich die Gruppe mit niedrigem Selbstwert zwar in ihrer Selbsteinschätzung bestätigt, aber trotzdem schlecht.

Fassen wir diese Ergebnisse zusammen:

  • • Wenn wir die Wahl haben wollen wir lieber etwas über unsere guten Qualitäten hören und uns dabei gut fühlen.
    • Self-enhancement
    • Die Entscheidung wird durch affektive Ziele bestimmt
    • Wenn wir uns Feedback über negative Qualitäten anhören müssen, dann wollen wir hören, was wir selbst für wahr halten; aber wir fühlen uns trotzdem negativ, wenn die Wahrheit negativ ist.
    • Self-verification
    • Die Entscheidung wird durch informationale Ziele bestimmt
    • Trotzdem haben wir negative Emotionen

Die self-verification Theorie wurde durch Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz noch verfeinert. 

Das Buch

Die neue NLP-Kurzgeschichte beschreibt einen möglichen Weg zum NLP. Viel Spaß bei der Lektüre:

„Da hätte sie mir auch gleich ein Deo schenken können“, dachte er, „das wäre nicht weniger taktlos gewesen.“ Seine Halsader war gefährlich angeschwollen. Unwillkürlich trat er das Gaspedal seines neuen, mattschwarzen Cayennes weiter durch. Geschwindigkeitsbegrenzungen verstand er bestenfalls als Empfehlungen. Er ließ sich doch von so einem lächerlichen Schild nicht vorschreiben, wie schnell er zu fahren hatte. Frechheit.

Sein Blick fiel auf das Cover des Buches, das halbausgepackt auf dem braunen Leder des Beifahrersitzes lag: „Endlich richtig kommunizieren mit NLP“. Am liebsten hätte er dieses Geschenk seiner Kollegin aus dem Fenster gepfeffert. Oder heute Abend seiner Frau davon erzählt. Dumm nur, dass diese ihn vor sechs Wochen mit den Worten „Mit dir kann man einfach nicht reden“ verlassen hatte.

Die Tankleuchte sprang an und er fuhr an der nächsten Tankstelle raus. Wenige Minuten später fuhr er mit vollem Tank und zwei Flaschen Rotwein im Gepäck weiter. Zu Hause angekommen, machte er den Kamin an und wechselte in seinen Armani-Jogging-Anzug. Da er eh nichts Besseres vorhatte, würde er dieses blöde Buch lesen. Nur, um es bei nächster Gelegenheit seiner Kollegin um die Ohren hauen zu können.

Die Erkenntnis

Nachdem er sich ein Glas Rotwein eingeschenkt hatte, schlug er willkürlich die Seite 47 auf. Im zweiten Absatz las er: „Wir kommunizieren häufig mit Anderen so, wie mit uns als Kind kommuniziert wurde.“ Wie gut, dass er jetzt alleine war und niemand die Tränen sah, die er plötzlich in den Augen hatte. Er hatte wieder die ewigen Beleidigungen und Schreiereien seines Vaters im Ohr, die er sein Leben lang so gehasst hatte. Und so sollte er heute mit anderen kommunizieren? Er errötete im Schein des flackernden Kamins, als ihm langsam immer mehr Beispiele einfielen, wie er seine Sekretärin und Mitarbeiter, Freunde und Partnerinnen so runtergemacht hatte, wie er das früher so oft selbst erlebt hatte.

Okay, das ging gar nicht. So wollte er nicht mehr mit den Menschen, die ihm wichtig waren, kommunizieren. Allein wegen dieses einen Satzes hatte sich die Lektüre des Buches schon gelohnt. Er beschloss, es von Anfang an zu lesen. Als er um drei Uhr nachts ins Bett ging, war das Buch verschlungen und eine neue Welt hatte sich ihm geöffnet.

Der Morgen danach

Am nächsten Morgen war sein erstes Ziel der Blumenladen. „Einen schönen Blumenstrauß für 50 Euro. Tun Sie ein paar pinkfarbene Lilien dazu“, wandte er sich an die Thailänderin, der der Laden gehörte. Er hatte mal aufgeschnappt, dass dies die Lieblingsblumen von Kirsten, seiner Kollegin, waren. Als nächstes hielt er am Coffeeshop: „Zwei Latte to go. Einen mit einem doppelten Shot Vanille und Sojamilch.“ So trank Kirstin ihren Kaffee am liebsten.

Als er ihr Büro mit Blumenstrauß und Kaffeebecher betrat, musste er gar nichts sagen. Sie wusste: Es gab Hoffnung.

Informationen zu unseren NLP-Ausbildungen findet Ihr hier.