Wieso funktionieren Systemaufstellungen? Eine Spurensuche

Wieso funktionieren Systemaufstellungen? Eine Spurensuche

Seit Mitte der Achtzigerjahre erleben Systemaufstellungen in Deutschland einen wahren Siegeszug. Sie sind aus Coaching und Therapie nicht mehr wegzudenken. Viele Menschen erfahren die Kraft von Aufstellungen und die transformativen Energien, die diese in ihrem Leben entfalten, am eigenen Leib. Gleichzeitig trauen sie sich fast nicht, diese anzunehmen, weil sie sich fragen: Wieso funktioniert das? Genau wissen wir es nicht; es gibt jedoch einige Hinweise und Beobachtungen.

Wiederholbare Wahrnehmung in Aufstellungen vielfach belegt

Wenn schon nicht die Funktionsweise, so ist doch die wiederholbare Wahrnehmung von Stellvertretern in Aufstellungen vielfach belegt. So berichten Teilnehmer, die wiederholt an offenen Aufstellungswochenenden teilgenommen haben, regelmäßig, dass sich immer wieder dieselbe Dynamik zwischen ihren Familienmitgliedern zeigt. Gleiches gilt auch, wenn der Teilnehmerkreis der Seminare jeweils völlig unterschiedlich ist und sich die Teilnehmer vorher nicht kennen.

Diese Wiederholbarkeit von Teilnehmeraussagen hat ein Doktorand von Fritz B. Simon, Peter Schlöter, wissenschaftlich untersucht. Er hat die gleiche Konstellation mehrere hundert Mal aufgestellt. Dazu platzierte er an die unterschiedlichen Positionen lebensgroße Puppen. Dann hat er unterschiedliche Stellvertreter durch die einzelnen Positionen geschickt, d. h. er hat unterschiedliche Personen an denselben Platz und dieselben Personen an unterschiedliche Plätze gestellt. An den übrigen Positionen standen jeweils die lebensgroßen Puppen. Er protokollierte die Wahrnehmungen der Versuchspersonen mit dem Ergebnis: Es gibt eine große Übereinstimmung in der Wahrnehmung des Erlebens, die abhängig von der Position, aber unabhängig von der Person ist. Also ist das Phänomen, das »repräsentative Wahrnehmung« genannt wird, verifizierbar.

Es sei erlaubt, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Wahrnehmung der Stellvertreter offensichtlich nicht frei erfunden sein kann, sondern etwas mit den tatsächlichen Dynamiken in einem Familiensystem zu tun hat. Doch wieso?

 

Was haben Aufstellungen mit Hefe zu tun?

Ich werde oft gefragt, wieso Aufstellungen funktionieren. Darauf antworte ich häufig mit einem Vergleich: Denken wir an die altbewährte Hefe. Schon in den frühen Hochkulturen des Nahen Ostens wurden Wein und Brot mithilfe von Hefe hergestellt und die Menschen haben diese Lebensmittel genossen. Erst einige tausend Jahre später – nämlich 1876 – beschrieb Louis Pasteur, dass Hefe aus Mikroorganismen besteht, die für Gärung von essenzieller Bedeutung seien. Ähnlich verhält es sich mit Aufstellungen.

Wir wissen heute noch nicht, wieso Aufstellungen funktionieren, doch wir können uns schon ihrer segensreichen Wirkung bedienen. Oder wir verzichten darauf, sie zu nutzen, weil wir ihre Wirkungsweise noch nicht in letzter Konsequenz verstanden haben und warten ggf. noch einige tausend Jahre.

Doch auch wenn wir nicht genau wissen, wieso Aufstellungen funktionieren, gibt es doch einige Hinweise, die ich im Folgenden erläutern möchte.

Ein Feld öffnet sich immer nur so weit, wie der Klient bereit ist, zu gehen. Was heißt das?

Die Bedeutung dieser Aussage möchte ich mittels eines Beispiels erläutern: Eine Klientin wollte mithilfe einer Aufstellung ihre Panikattacken überwinden. Sie wusste, dass in ihrem Familiensystem Verbrechen geschehen waren. Eine Großtante hatte wegen Totschlags im Gefängnis gesessen. Außerdem gab es eine Reihe unklarer Todesfälle – Menschen, die irgendwie gestürzt waren oder tot in ihren Betten aufgefunden wurden.

Bei dieser Aufstellung gab es folgendes Ereignis: Kaum stand einer der Stellvertreter im Feld, sagte er: „Das war kein natürlicher Tod.“ Dabei zeigte er auf eine Tante der Klientin, die sich sofort, als sie aufgestellt wurde, auf den Boden gelegt hatte – ein typisches Verhalten für Stellvertreter, die Tote repräsentieren.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, schien die gesamte Energie aus dem Feld zu weichen. Die Stellvertreter standen nur noch unentschlossen herum, keiner hatte mehr eine ausgeprägte Wahrnehmung oder eine Beziehung zu irgendjemandem.

Dies weist darauf hin, dass irgendetwas in dem Klienten »dicht gemacht« hat. Dieses Phänomen beobachte ich, wenn sich Dynamiken in Aufstellungen zeigen, die für den Klienten zunächst nicht bewusstseinsfähig sind. Häufig ist dies der Fall, wenn Familiengeheimnisse aufgedeckt werden, wie z.B., dass der Klient einen anderen leiblichen Vater hat als den Ehemann der Mutter. Der Klient will dies dann zunächst nicht wahrhaben.

Ich schilderte diese Vermutung, dass etwas in ihr »dicht gemacht hat« meiner Klientin und fragte sie, ob sie sich ganz sicher sei, dass sie sich diese Dynamik, diesen Ursprung ihrer Angst wirklich anschauen wollte. Daraufhin antwortete sie, dass sie dies noch einmal überlegen wolle.

Daraufhin brach ich die Aufstellung ab und erläuterte, dass der Aufstellungsabbruch kein »Scheitern« des Klienten, der Stellvertreter oder der Aufstellungsleitung sei. Vielmehr kann der Abbruch einer Aufstellung manchmal eine sehr intensive, wirkungsvolle Intervention sein.

Am nächsten Tag kam die Klientin und sagte, sie hätte die ganze Nacht wachgelegen und wolle sich dieses Thema nun anschauen. Schnell wurde im Rahmen der neuen Aufstellung deutlich, wer für den Tod der Tante verantwortlich war – nämlich der Großvater, der sie im Suff die Treppe heruntergestoßen hatte.

Kaum war diese Wahrnehmung von einem der Stellvertreter ausgesprochen, begann die Klientin am ganzen Körper zu zittern. Jetzt war deutlich, zu wem diese Panik eigentlich gehörte – nämlich zu dieser Tante, die sich vor ihrem betrunkenen Vater fürchtete. Daraufhin konnte die Klientin die Angst bei ihrer Tante lassen und die Verantwortung für deren Tod bei ihrem Großvater. Beides erleichterte sie sehr.

Fazit: Das Unbewusste des Klienten entscheidet, was und wie viel aus dem Familiensystem preisgegeben wird.

Das Unbewusste als Sitz des Wissens für Aufstellungen

Darauf, dass das Unbewusste die entscheidende Quelle der Information ist, weist auch die Arbeit mit Bodenankern. Dieses klingt zunächst für manche Menschen noch befremdlicher. Ich praktiziere sie jedoch mit einer großen Anzahl von Klienten – auch und gerade aus dem Businessbereich. Nach wenigen Minuten »Eingewöhnungszeit« sind die allermeisten von dieser Arbeit begeistert.

Dabei werden Zettel mit den Namen der Personen versehen, die im Rahmen des Anliegens des Klienten aufgestellt werden sollen. Diese werden von dem Klienten dann so in dem Raum ausgelegt, wie dies seinem inneren Bild entspricht und wie er auch Stellvertreter aufstellen würde.

Sobald der Klient die Bodenanker im Raum verteilt hat, stellen wir uns abwechselnd auf die Bodenanker. Wir berichten uns gegenseitig unsere Wahrnehmungen. So lassen sich auch in dieser Aufstellungsvariante schnell und wirksam Lösungen für die tiefen Anliegen von Menschen finden.

Gleichzeitig scheint mir klar, dass das Wissen über die Dynamiken des Familiensystems nicht mit den Zetteln, die in meinem Seminarraum verteilt auf dem Boden liegen, in die Welt kommt – auch dann nicht, wenn man sie vornehmer Bodenanker nennt. Da sich häufig Zusammenhänge zeigen, die meinen Coaching-Klienten vorher nicht bewusst waren, bleibt wieder nur die Erklärung, dass dieses Wissen in ihrem Unterbewusstsein vorhanden ist und dass ihr Unbewusstes die Freigabe dieses Wissens steuert.

Aufstellungen fremder Familiensysteme funktionieren nicht

Dafür, dass das Wissen über die Zusammenhänge im Familiensystem im Unbewussten des Klienten vorhanden ist, spricht auch, dass wir nicht einfach irgendein Familiensystem aufstellen können. Also eine Aufstellung zu der Frage: „Hat die Nachbarin Sex mit dem Postboten?“, ist nicht nur unethisch, sondern wird auch keine sinnvollen Ergebnisse erbringen. Was ja durchaus auch eine gute Nachricht ist, schließlich wollen wir nicht, dass fremde Menschen durch die Untiefen unseres Familiensystems stolpern.

Das Unbewusste als Sitz des Wissens für Aufstellungen

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Aufstellungen immer wieder überraschende, tiefheilende Wirkungen zeigen. Wir können zwar noch nicht beweisen, wieso Aufstellungen funktionieren, jedoch verfügen wir über eine Reihe von Hinweisen, dass das Unbewusste unseres Klienten mithilfe der Aufstellungsarbeit sichtbar gemacht wird. Entsprechend kommt auch die Heilung aus unseren Klienten selber und nicht von uns Aufstellern und Coaches.

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